Was haben Einstein und Warren Buffett gemeinsam, oder: Warum es sich lohnt, beim Investieren einen kühlen Kopf zu bewahren. Unser Chief Investment Officer René Lobnig im Interview.

Du bist seit 2019 als Chief Investment Officer bei Swiss Life Select und hast hier das Vermögensverwaltungsgeschäft aufgebaut. Welche Veränderungen hast du seither in deiner Arbeit beobachtet?

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Es hat eine klare Demokratisierung des Investierens stattgefunden – der Zugang ist heute einfacher, günstiger und über Apps für viele verfügbar. Auch unser Daily Business ist deutlich digitaler geworden – dieser Wandel hatte bereits vor Corona begonnen, wurde durch die Pandemie aber stark beschleunigt.
Diese war in dieser Hinsicht ein Katalysator: Viele Prozesse, die ohnehin angestoßen waren, sind dadurch schneller umgesetzt worden. Im Nachhinein war das ein Glücksfall, denn wir konnten damit wichtige Weichen für die Zukunft stellen.

Auch marktseitig hat sich in den letzten Jahren viel getan. Es gab externe Einflüsse, die unsere Arbeit stark geprägt haben: Die Zinslandschaft hat sich verändert, die Inflation ist gestiegen und das hat direkte Auswirkungen auf das Vermögen unserer Kundinnen und Kunden.

Gerade in Österreich ist der klassische Weg oft noch der Bausparer oder das Sparbuch und das Thema Inflation wurde lange ausgeklammert. Für viele war dies lange Zeit kaum spürbar. Doch plötzlich sind Themen wie Geldentwertung, niedrige Sparzinsen und ein unsicheres Pensionssystem viel präsenter, während die Kreditzinsen wieder steigen. Hinzu kommen drei große Krisen in kurzer Zeit: Corona, dann 2022 der russische Angriffskrieg in der Ukraine mit steigender Inflation, und aktuell die geopolitischen Spannungen mit den USA und Diskussionen um Handelszölle. Es waren viele Ereignisse, nach einer langen Phase relativer Ruhe. Solche Entwicklungen sind kaum vorhersehbar. All das führt zu neuen Herausforderungen in der Beratung – umso wichtiger ist es, flexibel und gut vorbereitet zu sein.

Worauf achtest du bei der Beratung deiner Kundinnen und Kunden?

Trotz der Digitalisierung ist unser großer Vorteil, dass wir weiterhin einen klaren Schwerpunkt auf persönliche Beratung legen. Das ist in unserer Branche nicht mehr selbstverständlich – viele Mitbewerber arbeiten fast ausschließlich mit digitalen Kanälen, viele Kundinnen und Kunden werden dort auf eine rein digitale Strecke geschoben, was bei vielen nicht gut ankommt. Vielen fehlt dabei die professionelle Einordnung, sie investieren ohne Strategie oder ausreichendes Verständnis der Märkte. Wir hingegen setzen auf selbständige Financial Planner, die persönlich betreuen. Dieser direkte menschliche Kontakt ist unser größtes Alleinstellungsmerkmal. Wir wissen, dass der Zugang zu Märkten immer auch ein emotionaler ist – das wird sich nie ändern. Aber genau deshalb ist es unser Anspruch, Menschen auf eine rationale Basis zu bringen. Wir helfen ihnen, fundierte Entscheidungen zu treffen, statt sich von kurzfristigen Trends oder Ängsten leiten zu lassen. Das macht in der Beratung langfristig den Unterschied.

 

Wie gehst du mit der emotionalen Komponente bei Investmententscheidungen um?

Viele Privatanlegerinnen und Privatanleger lassen sich von kurzfristigen Entwicklungen beeinflussen und treffen emotionale Entscheidungen – oft genau zum falschen Zeitpunkt. Es gibt diese alte Börsenweisheit: „If you panic, panic first.“ In der Realität aber geraten viele in eine Art Rollercoaster – sie kaufen teuer, wenn die Kurse gut aussehen, und verkaufen panisch, wenn es nach unten geht. Das ist nicht rational und langfristig auch nicht erfolgreich. Ein gutes Beispiel dafür war der Marktcrash im April. Viele haben genau dann verkauft, als die Märkte bereits stark gefallen waren. Das ist paradox – wenn etwas billiger wird, sollte das eigentlich eine Kaufgelegenheit sein. Dieses prozyklische Verhalten ist weit verbreitet: Man schaut auf den Kursverlauf, nicht auf die Substanz eines Investments. Ein ähnliches Phänomen sehen wir bei Technologietiteln. Selbst als die Kurse schon sehr hoch waren, sind viele Anlegerinnen und Anleger noch eingestiegen – aus Angst, etwas zu verpassen.  Viele investieren, ohne wirklich zu verstehen, worin sie da eigentlich anlegen – einfach, weil „alle“ es tun. Wir halten uns bewusst davon fern, wenn nicht klar ist, was die Substanz eines Investments ist.

Was meinst du genau mit Substanz?

Mit Substanz meinen wir den inhärenten Wert eines Investments – also die Qualität des Vermögenswerts. Der Marktpreis entsteht durch Angebot und Nachfrage und kann stark schwanken, aber die Substanz bleibt. Wichtig ist: In was investiere ich da eigentlich? Verstehe ich das Geschäftsmodell? Wie lässt sich der tatsächliche Wert ermitteln – unabhängig vom aktuellen Kurs?

Ein Investment sollte wie eine unternehmerische Entscheidung betrachtet werden. Wie ein Unternehmer prüft, ob sich die Investition in eine Maschine rechnet, sollte man auch bei einer Aktie oder Anleihe denken. Nur wenn ich das verstehe, kann ich beurteilen, ob es langfristig rentabel ist. Ein häufiger Fehler: Viele lassen sich von ihrem bestehenden Portfolio leiten, statt jeden Tag mit einem „weißen Blatt Papier“ neu zu überlegen – was würde ich heute kaufen? Das ist für Laien kaum umsetzbar, weshalb professionelle Beratung hier eine große Rolle spielt. Ein Portfolio ist mehr als die Summe einzelner Titel – es muss ein klares Ziel verfolgen, sei es Rendite, Absicherung oder Altersvorsorge. Wie ein Uhrwerk müssen die einzelnen Bestandteile ineinandergreifen. Dabei zählt nicht nur die Performance, sondern auch das Risiko. Und Risiko heißt nicht Schwankung – Schwankungen sind temporär. Das echte Risiko ist Kapitalverlust. Wer das versteht, kann Schwankungen sogar als Chance nutzen.

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